Glossar

«farbig»

«Farbig» ist eine unzutreffende, koloniale und abwertende Bezeichnung, die eng mit der Geschichte der Rassentrennung verbunden ist. Der Begriff impliziert, dass weisse Menschen keine Farbe hätten, daher die Norm konstituierten und alle Andersausschauenden eine Abweichung darstellen würde
Menschen, die von der Mehrheitsgesellschaft als nicht weiss gelesen werden und dadurch von Rassismus betroffen sind, bezeichnen sich selbst als PoC, People of Color.

«Heidnisch»

Als «heidnisch» wurden aus christlicher Perspektive Menschen bezeichnet, die nicht einer monotheistischen Religion angehörten. Der Begriff war meist sehr abwertend gemeint, denn «heidnische» Menschen wurden als minderwertig, «primitiv», «wild» und «unzivilisiert» angeschaut.

«Indianer»

«Indianer» ist eine bis heute geläufige Sammelbezeichnung für die indigene Bevölkerung Nordamerikas – sie ist allerdings geschichtlich belastet. Der Ursprung des Begriffs «Indianer» basiert auf einem historischen Irrtum: Als Christoph Kolumbus in Nordamerika an Land ging, meinte er fälschlicherweise, in Ostasien zu sein.
Diese Region wurde damals noch allgemein als Indien bezeichnet – so wurden die einheimischen Menschen Nordamerikas «Indianer» genannt. Die Verwendung des Begriffs geht mit Assoziationen einher, die von stark eurozentristischen Klischees geprägt sind. Obwohl auch positiv-romantisierende Stereotype mit dieser Bezeichnung verknüpft werden, entsprechen diese nur selten der Wirklichkeit. Gerade der Kolonialismus und Völkerschauen haben Vorstellungen über «Indianer» verfestigt und verbreitet. Viele als «Indianer» bezeichnete Menschen empfinden den Begriff als kränkend. Eigenbezeichnungen sind unter anderem Native Americans und in Kanada First Nations.

«N_ / N****»

Das Wort ist eine Ableitung vom lateinischen Begriff «niger», was «schwarz» bedeutet. In der deutschen Sprache kann dieses Wort nie neutral verwendet werden, da es sich um eine pauschal entmenschlichende Beleidigung mit einer ganz spezifischen Geschichte handelt.
Diese ist eng mit den Rassentheorien im 18. Jahrhundert verflochten, die dem Kolonialismus, der Sklaverei und der Rassentrennung die rechtfertigende Grundlage boten: Die Einteilung der Menschheit in verschiedene, als unterschiedlich hoch gewertete «Rassen». Die Verwendung des Begriffs N_ für Schwarze Menschen diente der Aufrechterhaltung der Vormachtstellung von Europäer:innen gegenüber kolonisierten und versklavten Menschen. Die Verwendung des Schimpfwortes kann heute auch strafrechtliche Folgen haben. Die Abkürzung durch «N_» oder «N****» sind sprachliche Mittel, um den rassistischen Begriff nicht zu reproduzieren

«Naturvolk»

Die Unterscheidung zwischen Naturvölkern und Kulturvölkern, und dementsprechend Natur- und Kulturreligionen und -menschen, war ein spezifisches Verfahren im Kolonialismus, um hierarchische Gegensätze herzustellen.
Europa wurde als kulturell überlegen dargestellt und aussereuropäische Menschen, insbesondere aus Afrika und Südamerika, wurden als zwischen Mensch und Tier stehend und damit «natürlicher» repräsentiert. Je nachdem konnte die Bezeichnung «Naturvolk» durchaus auch romantisierende Stereotype reproduzieren, etwa die des «edlen Wilden», der unverdorben von Zivilisation und Moderne in der vollkommenen Natur leben würde. Noch heute wird der Begriff teilweise verwendet – trotz seiner historischen Belastung und Undifferenziertheit. Siehe dazu auch: https://www.bpb.de/themen/migration-integration/afrikanische-diaspora/59407/kolonialismus-rassismus-und-sprache/

Alltagsrassismus

Der Begriff «Alltagsrassismus» verweist darauf, dass es nicht nur den offensichtlichen Rassismus wie etwa jenen der Extremen Rechten gibt. Es gibt auch einen subtilen und verdeckten Rassismus, der für viele im alltäglichen Leben erfahrbar ist.
Dieser erscheint zum Beispiel in Witzen, in Vorurteilen oder im Beachten und nicht-Beachten von einzelnen Bevölkerungsgruppen in unterschiedlichen Kontexten. «Alltagsrassismus» bezieht sich auf Stereotype und Vorannahmen über «andere» – darauf, was in der Mehrheitsgesellschaft nicht als Norm gilt. Das bedeutet nicht, dass jede einzelne Person in dieser Mehrheitsgesellschaft rassistisch ist, sondern dass sie aufgrund der Schule oder der Medien ein gemeinsames Wissen und Verhalten teilt, das gewisse Menschen diskriminiert: Weil man davon ausgeht, bestimmte Eigenschaften seien für diese Gruppen typisch. Alltagsrassismus bildet sich meist über Generationen hinweg aus und wird daher oft als «normal» akzeptiert. Menschen, die von Alltagsrassismus betroffen sind, betonen oft, dass subtilere, unüberlegte Formen des Rassismus für sie nicht weniger verletzend sind, als offen rassistische Beleidigungen. Für Menschen, die nicht davon betroffen sind, bleibt er hingegen oft unsichtbar. Der Begriff «Alltagsrassismus» grenzt sich ab von mehr oder weniger definierten Formen des Rassismus, welche einige Politiker:innen, Journalist:innen oder Institutionen einsetzen.

Anti-Schwarzen-Rassismus

Rassismus gegenüber Schwarzen ist eine spezifische Form des Rassismus (wie auch Islamfeindlichkeit oder Antisemitismus), da er über eine einzigartige historische Dimension verfügt. Er wurde und wird in Bezug auf die Bibel – im Mythos des Fluchs über Ham – begründet und daher als gottgewollt dargestellt.
Während des europäischen Imperialismus diente der Rassismus gegenüber Schwarzen der Rechtfertigung von Sklaverei und Kolonialismus. Von ihm sind weltweit am meisten Menschen betroffen, da die Hautfarbe als äusserliches Merkmal sichtbar ist.

Antikolonialismus

Antikolonialismus umfasst jegliche Art von Widerstand gegen den Kolonialismus. Dieser kann von einer formulierten Kritik bis zum bewaffneten Kampf reichen.

Antikommunismus

Antikommunismus ist eine Abwehrhaltung gegen die politische Weltanschauung des Kommunismus, der als Gefahr eingestuft wird. Insbesondere während des Kalten Kriegs war eine antikommunistische Haltung auch in der Schweiz weit verbreitet.
Mit der Dekolonisation erhielt die teils irrationale Angst vor dem Kommunismus vermehrt globale Dimensionen und es wurde versucht, sein weiteres Vordringen mit allen Mitteln zu verhindern.

Auswander:innen vs. Siedler:innen

Schweizer:innern, die im 19. Jahrhundert ihr Heimatland verliessen, werden im öffentlichen Diskurs meist Auswanderer:innen genannt. Diese Bezeichnung verdeckt jedoch eine der Realitäten im kolonialen Kontext: Ausgewanderte Schweizer:innen trugen in den Kolonien oftmals dazu bei, die vorherrschenden Machtverhältnisse zu stärken.
Durch ihre Herkunft gehörten sie automatisch zu einer privilegierten Schicht. Sie besiedelten die Kolonien – waren also Siedler:innen –, hielten zum Teil Sklav:innen und erwirtschafteten Gewinne. Versteht man die aus der Schweiz ausreisenden Menschen also allgemein als Auswanderer:innen, wird die Geschichte einseitig erzählt – und ihre Rolle im Ankunftsland ausgeblendet. Auch in der Gegenwart wird darüber diskutiert, wie Menschen genannt werden sollen, die ihre Heimat verlassen. Bis wann ist ein Mensch Auswanderer:in und ab wann gilt er oder sie als Flüchtende:r oder Migrant:in? Wen bezeichnet man als Expat und wen als «Wirtschaftsflüchtling»? Hinter diesen Diskussionen verstecken sich Wertevorstellungen und Stereotype: Je nach dem, woher die betroffene Person stammt, erhält sie eine andere Bezeichnung.

Berliner Konferenz

Die Berliner Konferenz (auch Kongo- oder Westafrikakonferenz genannt) fand vom November bis Februar 1885 in Berlin statt. Ihr Schussdokument bildete die Grundlage für die Aufteilung Afrikas in Kolonien. Schaut man sich heute eine geografische Karte Afrikas an, erkennt man, wie die Landesgrenzen mit dem Lineal gezogen worden sein müssen.

Dekolonisierung

Der Begriff Dekolonisation bezeichnet den staatsrechtlichen Moment bzw. die geschichtliche Epoche der politischen Unabhängigkeit ehemaliger Kolonien. Unter Dekolonisierung wird ein umfassender und zeitlich breiterer Prozess der Auflösung kolonialer Verhältnisse und Denkstrukturen in allen Bereichen verstanden (z. B. Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft).
Dieser Prozess ist heute noch keineswegs abgeschlossen, wie beispielsweise Auseinandersetzungen um koloniale Sammlungen in europäischen Museen oder die Benennung von Strassennamen in Städten immer wieder zeigen.

Eugenik

Das Wort Eugenik kommt vom griechischen «eugenes», was «von edler Abstammung», «edel geboren» heisst. Im Deutschen wird «Eugenik» auch «Erbgesundheitslehre» genannt und – da sie eng mit dem Nationalsozialismus verbunden ist – oft auch mit «Rassenhygiene» gleichgestellt.
Es handelt sich um die Vorstellung von der Verbesserung des genetischen Erbmaterials der Menschen. Die Erkenntnisse der Humangenetik werden auf Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik angewendet, um die als positiv bewerteten Erbanlagen zu verbreiten (positive Eugenik) oder die als negativ eingestuften auszumerzen (negative Eugenik). Besonders verbreitet und weit diskutiert wurden eugenische Konzepte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – in der Schweiz fanden damals die weltweit ersten eugenisch begründeten Zwangssterilisationen und Zwangskastrationen statt. Bis in die 1980er Jahre hinein wurden Tausende, insbesondere Frauen, aufgrund angeblich «minderwertigen Erbmaterials» zwangssterilisiert.

Eurozentrismus

Der Begriff Eurozentrismus beschreibt, dass nichteuropäische Gesellschaften und Kulturen stets aus europäischer Perspektive, mit europäischen Werten und Normen betrachtet und eingeschätzt wurden und werden.
Europa wird unhinterfragt in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns gestellt und seine Geschichte und Entwicklung wird als Massstab für Vergleiche mit anderen Ländern und Kulturen gesehen. Besonders deutlich wurde diese Sichtweise im Zusammenhang mit dem Kolonialismus, sie wirkt aber bis heute nach.

Freiburg

Die Ausgangslage für die Texte auf der Webseite colonial-local sind historische Quellen aus der Region Freiburg. Sie zeigen, wie sich der Freiburger Kontext bestens dazu eignet, über die Lokalgeschichte hinaus einen Beitrag zur Geschichte der Schweiz und deren Verflechtungen mit der Weltgeschichte zu schreiben.
Die Region Freiburg steht einerseits exemplarisch für die kolonialen Verstrickungen der Schweiz. Wie die Frauen, Männer und Kinder in anderen Schweizer Regionen kamen auch die Freiburger:innen über Völkerschauen, Konsumgüter und Werbung mit der kolonialen Welt in Kontakt. Andererseits eröffnet die Region durch ihre geografische Lage an der Grenze zwischen dem deutschen und dem französischen Sprachraum, die ländliche Prägung sowie den Katholizismus auch ganz spezielle Einblicke in die Schweizer Kolonialgeschichte. Im Gegensatz zu den meisten anderen Kantonen der Westschweiz wurde Freiburg im Zuge der Reformation nicht protestantisch und stellte bald ein wichtiges Zentrum des internationalen Katholizismus dar. Ausschlaggebend dafür war insbesondere die 1889 gegründete Universität Freiburg, die von Anfang an zweisprachig und katholisch ausgerichtet war und damit Studierende aus unterschiedlichen Ländern – darunter auch Kolonien – anzog. Darüber hinaus liessen sich eine Vielzahl von Missionsorganisationen in Freiburg nieder, welche die Region mit der ganzen Welt vernetzten. Der Kanton wurde spät industrialisiert. Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte die Freiburger Landwirtschaft eine Hochblüte, wobei insbesondere die zunehmende Käseproduktion eine wichtige Rolle spielte. Mit der Anbindung an das Eisenbahnnetz entstanden bis zum Ersten Weltkrieg grosse industrielle Unternehmen, darunter die Schokoladenproduzenten Cailler und Villars, die auf den kolonialen Rohstoff Kakao angewiesen waren. Nichtsdestotrotz blieb der Kanton weiterhin ländlich geprägt – der grösste Teil der Bevölkerung arbeitete bis zum Zweiten Weltkrieg im landwirtschaftlichen Sektor. Die Geschichte Freiburgs zeigt damit, dass der Kolonialismus nicht nur in den städtischen Zentren der Schweiz präsent war, sondern auch die eher ländlichen Gebiete und Bevölkerungsschichten. Indem die Region gleichzeitig typisch und speziell für die kolonialen Verflechtungen der Schweiz ist, können aus diesem Beispiel Einsichten in Vergangenheit und Gegenwart gewonnen werden, welche weit über die regionalen Grenzen hinweg von Bedeutung sind.

Fremdenlegion

Die Fremdenlegion ist eine Truppe der französischen Armee, in der vorwiegend Soldaten aus dem nichtfranzösischen Ausland kämpfen. Sie wurde 1831 von König Louis Philippe gegründet und kam nur im Ausland, sprich in den Kolonien, zum Einsatz. Schweizer waren aufgrund der langen Tradition des Söldnerwesens in der Fremdenlegion stark vertreten.
Die Schweizer Regierung verbot ab Mitte des 19. Jahrhunderts den Eintritt in eine Söldnertruppe, aber da die Fremdenlegion eine nationale Truppe war, durften Schweizer Bürgern ihr bis 1927 offiziell beitreten. Bis heute dienten ungefähr 40'000 Schweizer in der Fremdenlegion.

Globaler Süden

Der «globale Süden» ist nicht nur ein geografischer Begriff, sondern er will auch eine vermeintlich wertfreie Alternative zu bisherigen Bezeichnungen wie «Dritte Welt» oder «Entwicklungsländer» darstellen. Der Begriff verweist auf die nachhallenden Effekte des Kolonialismus.
Bis heute benachteiligt der Kolonialismus die Länder des Südens und privilegiert die Länder des Nordens und befördert dadurch weltweite Ungleichheit. Kritiker:innen betonen allerdings, dass auch das Konzept des globalen Südens die wirklichen Begebenheiten zu stark vereinfacht und verallgemeinert und dass stattdessen konkretere, geografisch präzise Bezeichnungen verwendet werden sollten – zum Beispiel die Namen der angesprochenen Länder.

Hautfarbe

Die Kategorisierung von Hautfarben in «weiss», «braun», «schwarz», «rot» und «gelb» ist willkürlich: Es gibt nur individuell pigmentierte Haut. Doch warum bestimmt der Schwarz-Weiss-Gegensatz heute so stark unser Denken? Hautfarbe hat eine Geschichte – diese ist eng mit Machtverhältnissen verbunden.
Im Mittelalter gab es die heute weitverbreitete Klassifikation der Hautfarben noch nicht. Erst mit dem Kolonialismus und dem transatlantischen Sklav:innenhandel begann die kollektive Einordnung von Völkern, Ländern und Kontinenten nach Hautfarbe – weisse Menschen wurden als eine «Rasse» zusammengefasst und an die Spitze der Hierarchie gestellt. Dies diente der Legitimation der europäischen Expansion und Unterdrückung sowie Ausbeutung anderer Bevölkerungsgruppen. Weiss-sein wurde zur Norm, an der sich alles andere als Abweichung verstehen musste. Bis heute profitieren Menschen, die als weiss gelesen werden, von diversen Privilegien. Umgekehrt sind die als «anders» gelesenen Menschen oft von Diskriminierung und Rassismus betroffen. Um zu betonen, dass es sich bei diesen «Hautfarben» nicht um biologische Kategorien, sondern um soziokulturelle Konstrukte handelt, kann weiss klein und kursiv geschrieben werden und das Adjektiv Schwarz gross. In dieser Form wird Schwarz auch als politische Eigenbezeichnung verwendet.

heute

Die Webseite colonial-local entstand zwischen 2021 und 2022. Mit heute meinen wir nicht nur das Jahr 2022. Wir verstehen damit ganz allgemein die Gegenwart, in der die Texte gelesen werden. Heute ist also ein symbolischer Begriff, der sich vom Gestern – von der historischen Ebene – abheben soll und Fragen nach unserem aktuellen Zusammenleben stellt. 

Imperialismus

Der Begriff bezeichnet die Politik und Praxis einer Nation, den Herrschafts- und Machtbereich immer mehr auszuweiten. Dies bedeutet insbesondere das Streben nach neuen Gebieten oder die politische, militärische und wirtschaftliche Kontrolle über Regionen und Bevölkerungsgruppen.
Die Zeit zwischen 1870 bis zum Ersten Weltkrieg wird als «Zeitalter des Imperialismus» oder «Hochimperialismus» bezeichnet. Viele europäische Mächte dehnten in dieser Epoche ihren weltweiten Einfluss derartig schnell aus, dass es zwischen ihnen zu regelrechten Wettläufen um Gebiete kam.

Kollektive Identität

«Kollektive Identität» meint eine gemeinsam konstruierte «Wir-Identität» – eine Gruppe definiert sich über bestimmte gemeinsame Eigenschaften, die sie vermeintlich von anderen Gruppen unterscheidet. Sie wirkt nach innen verbindend und nach aussen abgrenzend.

Kollektives Gedächtnis/Erinnerungskultur

Jedes Individuum ist immer auch Teil einer Familie, eines Quartiers, einer Gesellschaft, einer oder mehrerer Kulturen. Jede dieser Gruppen hat ein eigenes gemeinsames Gedächtnis. Dieses kollektive Gedächtnis beschreibt Dinge, die wir nicht persönlich erlebt haben, sondern die wir zum Beispiel durch Erzählungen oder aus Fotoalben kennen. Das gelebte kollektive Gedächtnis und den Umgang von Einzelpersonen und Gemeinschaften mit der eigenen Vergangenheit nennt man Erinnerungskultur.
Woran erinnern wir uns? Welche Feiern werden gehalten? Wie sind unsere Strassen und Plätze benannt? Welche Geschichten finden sich in unseren Schulbüchern? Durch die schriftliche oder mündliche Überlieferung wird die gemeinsame Identität einer Gruppe erstellt und aufrechterhalten – und die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe sichergestellt. Die kollektive Erinnerung wird zudem durch die Gegenwart geprägt: Wir werfen in unserer heutigen Situation einen Blick zurück auf bestimmte Begebenheiten und erklären sie uns mit den uns übermittelten Geschichten. Gewisse Dinge werden auch bewusst oder unbewusst aus dem Gedächtnis gelöscht oder nicht weitererzählt, um ein bestimmtes Bild entstehen zu lassen. Das kollektive Gedächtnis ist demnach sehr komplex und immer in Bewegung. In der Schweiz werden zum Beispiel die Heldentaten von Wilhelm Tell gerne als Entstehungszeitpunkt der Eidgenossenschaft gefeiert. Diese Geschichte gehört zu den wichtigsten nationalen Mythen der Schweiz und wird jeder Generation weitererzählt. Dass es Wilhelm Tell jedoch gar nicht gegeben hat, ist in diesem Zusammenhang zweitrangig.

Koloniale Sammlungen

Viele Museen in Europa entstanden zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert – einem Zeitraum, der stark von der europäischen Expansion geprägt war. Aus den Kolonien brachten Europäer:innen Objekte, Kunst, ausgestopfte Tiere aber auch historische Gebeine in die Heimat, wo sie von Wissenschaftler:innen studiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.
Die Bedingungen, wie diese Objekte in den Besitz von Kolonisator:innen, Wissenschaftler:innen, Reisenden oder Missionar:innen gelangten, waren unterschiedlich. Manchmal wurde gehandelt, teilweise waren es jedoch Kriegstrophäen. Diese Sammlungen befinden sich grösstenteils nach wie vor in europäischen Institutionen – doch ist das richtig so? Darüber wird aktuell kontrovers diskutiert. Manche begreifen ethnologische Museen in Europa als sichtbares Zeichen von Ausbeutung. Doch auch Kunstmuseen oder Missionsmuseen verfügen über Sammlungen, die aus kolonialen Kontexten stammen. Viele museale Institutionen suchen heute den Dialog mit den ehemaligen Kolonialgebieten um nach möglichen Lösungen für die Sammlungen zu suchen.

Kolonialfotografie

Koloniale Fotografien entstanden immer in asymmetrischen Machtkonstellationen. Manchmal wurden die kolonisierten Menschen gezwungen, sich vor die Kamera der Kolonisator:innen zu stellen – der Fotoapparat wurde zu einem Instrument der Kolonisierung.
Diese Fotografien wurden dann in der Heimat ausgestellt, als Postkarten verschickt oder dienten dem wissenschaftlichen Rassismus. Der Fotoapparat trug so dazu bei, eine visuelle Kolonialkultur zu produzieren und zu verbreiten, die ein spezifisches Bild von kolonisierten Menschen und Situationen festigte. Dieses hatte oft nichts mit der Realität zu tun. Regelmässig wurden die Menschen angewiesen, wie sie sich kleiden und positionieren sollten und wie ihre Mimik auszusehen hatte. Besonders beliebt waren Arrangements, in der die Kolonisator:innen sich in der Mitte einer Gruppe platzierten, umgeben von knienden oder stehenden Kolonisierten. So wurde auf räumlicher Ebene die soziale Hierarchie verdeutlicht. Darüber hinaus bedienten sich die Fotograf:innen auch gezielt der technischen Mittel der Fotografie – durch eine lange Belichtungszeit wurde etwa der Unterschied der Hautfarbe verstärkt zum Ausdruck gebracht; weisse Menschen wurden sehr intensiv ausgeleuchtet, während man die Gesichter Schwarzer Menschen kaum mehr erkennen konnte.

Kolonialismus

Das lateinische Wort «colonia» bedeutet Niederlassung: Als Kolonialismus wird die Politik der Inbesitznahme und Ausbeutung meist nichteuropäischer Gebiete durch vor allem europäische Länder zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert mittels langfristig ausgerichteter politischer, wirtschaftlicher und militärischer Kontrolle bezeichnet.
Auslöser des Kolonialismus war der grosse Bedarf der Europäer:innen an Gewürzen, Farbstoffen, Gold und Sklav:innen, der sich durch die Erschliessung und Beherrschung neuer Gebiete decken liess. Weiter war auch die Überbevölkerung in Europa ein Problem und die Kolonien wurden als willkommene Emigrationsorte angesehen. Nationen expandierten über ihren eigentlichen Siedlungsraum hinaus, unterwarfen die dort lebenden Bevölkerungsgruppen unter völlige Fremdherrschaft und beuteten die Ressourcen der Gebiete aus. Kolonialismus ging von einem bestimmten Herrschaftsverhältnis aus: Kolonisator:innen unterstellten Kolonisierten kulturelle Unterlegenheit und legitimierten dadurch soziale Ungleichheit. Die Annahme einer Überlegenheit des «Eigenen» und einer vermeintlichen Rückständigkeit und Unterentwicklung des «Anderen» ist demnach eine der Voraussetzung des Kolonialismus, die von den Kolonisator:innen im Alltag immer wieder aufs Neue bestätigt wurde.

Kolonialkultur

Die koloniale Unterwerfung aussereuropäischer Gebiete war nicht nur ein wirtschaftliches und politisches Phänomen – getragen wurde es ebenfalls von kulturellen Vorstellungen. In den europäischen Metropolen musste das koloniale Projekt stets aufs Neue legitimiert werden.
Dafür brauchte es die Überzeugung, dass die aussereuropäischen Menschen auf einer «niederen Stufe» seien und nur durch die europäische Zivilisierung, Industrialisierung und Christianisierung kulturell gehoben und in die «moderne Welt» miteingebunden werden könnten. Dieses «koloniale Wissen» wurde in diversen Formen immer wieder kommuniziert und in alle Winkel der Gesellschaft getragen, so etwa durch Schulbücher, Museen, Theaterstücke, Musik, Sprache, Literatur oder Wissenschaft. Länder wie die Schweiz, die keine offiziellen Kolonien besassen, wurden ebenfalls durch diese Kolonialkultur geprägt – und prägten sie ihrerseits selbst mit.

Kolonialwarenladen

In Kolonialwarenläden konnten Menschen in Europa Lebensmittel und weitere Produkte aus den Kolonien kaufen. Dazu gehörten etwa Reis, Gewürze, Kaffee, Zucker und Tee. Diese Geschäfte waren besonders während der Kolonialzeit verbreitet und lösten sich in den 1970er Jahren zusehends auf.
In Zürich besteht nach wie vor ein Kolonialwarenladen und die Migros bezeichnet einen Teil ihres Sortiments als «Kolonialwaren».

Mission

Der Auftrag, andere Menschen zum christlichen Glauben zu bekehren, findet sich bereits in der Bibel. Mit der kolonialen Expansion erstreckte sich dieser nun auch auf aussereuropäische Gebiete und die dort lebenden Menschen.
Die Mission lieferte den Kolonialmächten eine moralische Legitimation für die Beherrschung anderer Bevölkerungsgruppen: Die Unterwerfung konnte als Befreiung, Erziehung und Errettung «heidnischer» Menschen dargestellt werden.

Othering

Der Prozess des Othering meint die Distanzierung zu einem als «anders» wahrgenommenen Kollektiv und die gleichzeitige Herstellung und Verfestigung einer Gruppenidentität. Es handelt sich um eine permanente Grenzziehung und Kategorisierung: Damit ein «Wir» gestärkt werden kann, werden andere Gruppen als «fremd» und «anders» stereotypisiert.
Sei es aufgrund von sozialer Klasse, religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung, Nationalität oder vermeintlicher biologischer Unterschiede («Rasse») – die Bereiche, in denen diese Stereotype verwendet werden, sind vielfältig. Die Praxis des Othering ist stets in spezifische Macht- und Herrschaftskonstellationen eingebettet. Die Konstruktion des «Anderen» basiert auf der Überzeugung, dass das «Eigene» – die vermeintliche Norm – übergeordnet und positiv bewertet ist. Othering kann die Grundlage für Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit bilden.

Paternalismus

Paternalismus bezeichnet eine Herrschaftsordnung, die Autorität und Legitimation auf eine Bevormundung stützen. In verklärender Weise wird meist behauptet, dass man zum Wohle der «Anderen» Macht über diese ausübe.
In kolonialen Kontexten war es ein geläufiges Narrativ, die kolonisierten Menschen als «Kinder» darzustellen, die noch nicht die richtigen Entscheidungen für sich selbst treffen könnten. Besonders den Missionen war ein ausgeprägter Paternalismus eigen, bevor sie in den 1950er Jahren kritisch über diese nachzudenken begannen und ihm allmählich eine Absage erteilten.

Rassentheorie

«Rassentheorien» kategorisieren Menschen in verschiedene «Rassen». Ihren Höhepunkt hatten diese Theorien im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Menschen wurden in wissenschaftlichen Studien insbesondere aufgrund ihrer äusserlichen Merkmale in verschiedene «Rassen» zusammengefasst – zu den Kriterien gehörten etwa die Hautfarbe, Körpergrösse oder Haare.
Nicht selten wurden diesen Gruppen zudem spezifische Eigenschaften in Bezug auf Intelligenz, kulturellem Niveau, sexuellem Verhalten oder Temperament zugeschrieben. Damit ging ein Hierarchisieren zwischen den verschiedenen Gruppen einher, der wissenschaftliche Rassismus etablierte sich. Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich in der wissenschaftlichen Meinung vier «Grossrassen» durchgesetzt: Europide, Mongolide, Australide und Negride. Es wurde die Meinung vertreten, dass die Mischung von «Rassen» nachteilige Auswirkungen auf das menschliche Genmaterial haben würde. In vielen Ländern wurden sogenannte «Mischehen» gesetzlich verboten. Die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und die Gräuel des Holocausts führten zu einer kritischeren Betrachtung der Rassentheorie. Seit den 1950er Jahren setzte sich allmählich die Meinung durch, dass der Begriff der «Rasse» selbst wissenschaftlich nutzlos sei. Auch belegten Wissenschaftler:innen weltweit, dass geistige Unterschiede zwischen den angenommenen «Rassen» nicht nachgewiesen werden können und dass die Durchmischung von «Rassen» keine nachteilige Effekte hat. In den USA wurde die Rassentrennung in einigen Staaten jedoch erst Ende der 1960er Jahre aufgehoben und in Südafrika die Apartheid sogar erst 1990. Heute gelten Rassentheorien allgemein als wissenschaftlich unhaltbar – im deutschen Sprachraum wird daher der Begriff «Rasse» meist in Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt und Rassentheorien als «Pseudowissenschaften» bezeichnet.

Sklaverei

Sklaverei bezeichnet den Zustand, in dem Menschen als Eigentum anderer behandelt werden. Dieses bereits seit der Antike bestehende menschenunwürdige System erlebte in der Neuzeit mit dem Kolonialismus zusätzliche Verbreitung.
Insbesondere in den Kolonialgebieten auf dem amerikanischen Kontinent waren die Siedler:innen für ihre arbeitsintensive Plantagenwirtschaft auf Sklav:innen angewiesen. Im Rahmen des transatlantischen Dreieckshandels wurden durch die europäischen Kolonisator:innen Millionen Menschen von Afrika nach Süd- und Nordamerika verschleppt. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts bildete sich, vor allem in Grossbritannien, eine Bewegung, welche die Abschaffung der Sklaverei forderte und nach und nach deren Verbot erreichte.

Söldnerwesen

Als Söldner werden Personen bezeichnet, die gegen eine vertraglich geregelte Bezahlung für eine fremde Armee in den Kampf ziehen. Der Einsatz von Schweizer Söldnern in europäischen Heeren war bis ins 19. Jahrhundert hinein weit verbreitet.
Trotz Verboten und Einschränkungen in der neuen Bundesverfassung von 1848 blieb der individuelle Solddienst bis 1927 erlaubt. So dienten Schweizer bis ins 20. Jahrhundert insbesondere in ausländischen Kolonialarmeen, wie der Fremdenlegion oder der niederländischen Kolonialarmee.

Stereotype

Bei Stereotypen handelt es sich um vereinfachende und verallgemeinernde Urteile (zum Beispiel über die Frauen, die Schweizer, die Jugendlichen). Stereotype über sich selbst und andere sind im Alltagswissen verankert und sind dementsprechend weit verbreitet und starr.
Das bedeutet: Selbst wenn Menschengruppen sich gänzlich anders verhalten, als sie es ihrem Stereotyp nach tun würden, wird die Vorannahme über sie dennoch nicht angeglichen. Im Gegensatz zu Vorurteilen findet stereotypisierendes Denken oft unbewusst statt und Stereotype können auch positiv besetzt sein – nichtsdestotrotz bleiben es verallgemeinernde Vorannahmen, die keinesfalls objektiv sind.

Transatlantischer Dreieckshandel

Im sogenannten transatlantischen Dreieckshandel fuhren europäische Schiffe mit Waren an die Küste Westafrikas, um dort Handelsgüter gegen Menschen einzutauschen. Diese wurden versklavt, nach Amerika gebracht und verkauft. Von dort aus fuhren die Schiffe nach Europa zurück, beladen mit kolonialen Produkten wie Zucker, Kaffee oder Baumwolle, die durch Sklav:innenarbeit geerntet oder hergestellt worden waren.
Diese Definition des Dreieckshandels stammt von der Bundeszentrale für politische Bildung bpb. Die bpb widmet dem Postkolonialismus auf ihrer Webseite diverse Artikel und Grafiken: https://www.bpb.de/themen/kolonialismus-imperialismus/postkolonialismus-und-globalgeschichte/242213/transatlantischer-sklavenhandel-und-dreieckshandel/