Kämpfen im Dienst der Kolonial-mächte

Söldnertum

Kolonialstaaten benötigten einen konstanten Nachschub an Ressourcen, Arbeitskräften und Expertise, für den sie auch Menschen aus anderen europäischen Staaten anwarben. Welche Motivation hatten Schweizer, sich fremden Armeen anzuschliessen?
Vom Massenphänomen zum illegalen Engagement
Seit der Frühen Neuzeit war das
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Söldnerwesen
in der Schweiz weit verbreitet. Zwischen dem 15. Jahrhundert und der Mitte des 19. Jahrhunderts dienten über eine Million Schweizer in fremden Truppen. Obschon die Blütezeit des Söldnerwesens mit der Gründung des Schweizerischen Bundestaats 1848 vorüber war, blieb der Dienst von Schweizern in europäischen Armeen auch in der Zeit des
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Hochimperialismus
ein verbreitetes Phänomen: Im späten 19. Jahrhundert dienten tausende von jungen Schweizern als Soldaten und Beamte in Kolonialarmeen. Sie trugen zur gewaltvollen Aufrechterhaltung dieser Unrechtsregime bei.
Viele junge Männer, die es in fremde Dienste zog, kamen aus den unteren sozialen Schichten. Der Einsatz in einer Kolonialarmee ermöglichte es ihnen, der Armut zu entkommen und eine Karriere zu verfolgen, die ihnen zu Hause verwehrt geblieben wäre. Auch in Freiburg stiess das Angebot, für eine europäische Kolonialarmee in Asien oder Afrika zu dienen, auf grosses Interesse. Für einige Männer aus den oberen Schichten war der Söldnerdienst auch ein Karrieresprung.
Im Gegensatz zu
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Auswanderern
kehrten die meisten Söldner nach ihrer Zeit in den Kolonien in die Schweiz zurück. Erfahrungen, Kontakte und Geldmittel, die sie aus ihrem Einsatz in Übersee mit nach Hause nahmen, beeinflussten die Schweizer Gesellschaft weit über politische und wissenschaftliche Kreise hinweg.
Lies hier, wie das Söldertum geregelt war.
Mit der Bundesverfassung von 1848 wurde der Einsatz von Schweizer Regimentern in fremden Diensten stärker reguliert. Wenngleich die Förderung des Solddienstes nun untersagt war, galten bestehende Abmachungen über den Einsatz von Schweizer Truppen im Ausland weiterhin. Darüber hinaus war der Solddienst einzelnen Bürgern immer noch erlaubt. 1859 regelte das «Bundesgesetz betreffend die Werbung und den Eintritt in den fremden Kriegsdienst» den ausländischen Waffendienst: Dafür war neu die ausdrückliche Erlaubnis des betreffenden Kantons und des Bundesrats erforderlich. Im Jahr 1927 schliesslich verbot das Militärstrafgesetz den Solddienst gänzlich. Dennoch kämpften weiterhin Schweizer für ausländische Truppen, so etwa in der französischen Fremdenlegion oder – aus politischer Überzeugung – im Spanischen Bürgerkrieg und im Zweiten Weltkrieg.
Mehrere Freiburger verpflichteten sich ab 1898 in der Kolonialverwaltung des damaligen

Kongo-Freistaats

. Dies ging unter anderem auf den belgischen Konsul in Neuchâtel, Jean Boillot-Robert, zurück, der sehr erfolgreich Schweizer Söldner für die belgische Kolonialarmee rekrutierte. Er veröffentlichte Annoncen und Artikel in Zeitungen, um die Gerüchte, wonach der belgische Staat im Kongo sehr brutal gegen die lokale Bevölkerung vorginge, zu entkräften.
Söldner 1: Paul Moehr
Postbeamter im Kongo
Paul Moehr aus der Stadt
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Freiburg
reiste 1903 für die belgische Kolonialarmee als Postbeamter in den Kongo. Seinen Berichten zufolge sah er seine Ausreise als eine willkommene Alternative zu seiner schlecht bezahlten Arbeitsstelle bei der Freiburger Post. Nach seiner Ankunft in Boma reiste Moehr weiter ins Landesinnere, bis er seinen Posten in der Stadt Poko im Distrikt Uelé erreichte. Zu seinen Aufgaben als belgischer Postbeamter gehörten die Buchführung des Postens, das Steuerwesen, das Sammeln von Informationen und insbesondere der Austausch mit der lokalen Bevölkerung. Über seine Reise in den Kongo und den Aufenthalt in der Stadt Boma veröffentlichte er eine Reihe von Artikeln in der ZeitungLa Gruyère. So beschrieb er den Leser:innen in seiner Heimat etwa einen Tanz, den er während seiner Zeit im Kongo unter der afrikanischen Bevölkerung beobachtet hatte, wie folgt: «Während ihrer Tänze belustigen uns die Schwarzen mit ihren Verrenkungen und Grimassen. Wir bleiben eine Weile, um den grossen Kindern zuzuschauen, und begeben uns dann zur afrikanischen Firma, um eine Flasche Bier aus Europa zu probieren.»
Die Artikel von Paul Moehr über seine Erlebnisse im Kongo stiessen in der Öffentlichkeit auf breites Interesse.
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Moehrs Bericht bestätigte und reproduzierte hier für das weisse Publikum das Bild von der Kindlichkeit der Schwarzen Menschen in den Kolonien.
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Söldner
waren als Wissensvermittler an eine breite Öffentlichkeit massgeblich an der Konstruktion der Vorstellung des kolonialen «Anderen» beteiligt.
Von Paul Moehr im Kongo aufgenommenes Foto. In seinem Album wurde es mit «L’apéro au Congo B and W» beschriftet – eine rassistische Anspielung auf den Whiskey der Marke «Black and White», der auf dem Tisch steht. Die scharfen Machtasymmetrien werden in dieser Fotografie besonders deutlich.
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Söldner 2: Der Unbekannte
Wer keine Spuren hinterlässt
Während die Biografien von Schweizer
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Söldnern
teils relativ genau nachgezeichnet werden können, wissen wir kaum etwas von den Menschen, die ihnen in den Kolonien begegneten – so beispielsweise von den drei Personen im Hintergrund der
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Fotografie
von Paul Moehr. Um ihre Geschichte erzählen zu können, müssten Quellen vorhanden sein. Doch die Herstellung von Texten und die Entscheidung darüber, welche Dokumente es wert sind, aufgehoben zu werden, war über Jahrhunderte vor allem ein männliches, europäisches Privileg. Archive sind daher per se selektiv und unausgeglichen; sie widerspiegeln die historischen Machtverhältnisse.
Die Geschichtswissenschaft berichtete bis anhin vor allem darüber, was in (Text)Quellen zu finden war. Um ein vollständigeres Bild der Vergangenheit zeichnen zu können, müssen Historiker:innen vermehrt ihr Augenmerk darauf richten, was nicht in den Quellen steht bzw. die Quellen «gegen den Strich lesen». Damit rücken neue Akteur:innen in den Fokus und Geschichtsschreibung wird vielfältiger und objektiver.
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Söldner 3: Ernest de Weck
Infanterieoberleutnant im Kongo
Der Bundesrat hat dem Eintritt von Ernest de Weck in die französische Fremdenlegion 1897 gestattet.
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Der
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Freiburger
Infanterieoberleutnant Ernest de Weck, geboren 1869, wandte sich im Dezember 1897 mit einem Antrag an den Bundesrat. Darin bat er um Erlaubnis, in die französische
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Fremdenlegion
in Algier einzutreten. Einerseits gab er dafür familiäre Gründe an, andererseits wollte er seine militärischen Kenntnisse verbessern, um danach in der Schweizer Armee bessere Dienste zu leisten. De Weck berief sich dabei auf das Bundesgesetz von 1859 und erwähnte zwei vorhergehende Fälle, in denen eine solche Erlaubnis erteilt worden war. Wie der Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des Schweizerischen Bundesrats zeigt, wurde sein Gesuch am 13. Dezember 1897 bewilligt.
Anders als in seinem Brief an den Bundesrat angegeben, diente de Weck ab Mai 1897 nicht für die französische Fremdenlegion in Algier, sondern für die belgischen Kolonialtruppen im Kongo. Während seines Einsatzes war er auch an der gewaltsamen Niederschlagung von Aufständen und sogenannten «Strafexpeditionen» beteiligt. Nach zwei Jahren im Kongo erkrankte de Weck und starb 1899 in Niamgwé.
Söldner 4: Peter Birbaum
Veteran der Niederländischen Ostindienkompanie
Peter Birbaum, 1827 in Tafers geboren, gehörte zu den 7’600 Schweizern, die zwischen 1814 und 1914 für die niederländische Kolonialarmee in Südostasien kämpften. Er reiste 1869 Richtung Niederländisch-Ostindien, dem heutigen Indonesien, und stand dort drei Jahre lang für die Kolonialmacht im Einsatz. Birbaum klagte nach einer Verletzung im Dienst über chronische Gelenkschmerzen, woraufhin er entlassen wurde und in den Kanton
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Freiburg
zurückkehrte. Die niederländische Armee zahlte ihren versehrten Mitgliedern lebenslange Pensionen aus. Birbaum bezog seine erste Pension in Höhe von 100 Franken bereits 1872. Er erhielt die Zahlungen mit einem Unterbruch von sieben Jahren bis zu seinem Tod 1901.
Der Fall Birbaum verweist auf die Verstrickungen von Kolonial- und Sozialgeschichte, gerade auch in der Schweiz. Während einige Politiker und Behörden ein rigoroses Verbot des
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Solddienstes
forderten, sahen andere in den europäischen Kolonialarmeen eine willkommene Gelegenheit, überschüssige Arbeitskräfte, potentielle «Proletarier» oder «deviante Subjekte» loszuwerden. Die Schweizer Bundeskanzlei bemühte sich darum, dass Veteranen wie Birbaum ihre Pensionen ausbezahlt bekamen, was auch der Entlastung der eigenen Sozialausgaben dienen sollte.
Eine Schweiz ohne Kriegsvergangenheit. Und wie ist das mit dem Waffenhandel?
Dank ihrer politischen Neutralität wurde die Schweiz in den letzten europäischen Kriegen als Kriegsschauplatz verschont. Auch die Schweizer Armee hat seit dem 18. Jahrhundert keinen Krieg mehr geführt. Die Beteiligung der Schweiz an verschiedensten Kriegen auf der Welt geschieht über andere Wege – zum Beispiel durch den Export von Kriegsmaterial. Der Waffenhandel ist in der Schweiz gesetzlich nur dann erlaubt, wenn er dem Völkerrecht, den internationalen Verpflichtungen und den Grundsätzen der schweizerischen Aussenpolitik nicht widerspricht. Die

Wochenzeitung (WOZ)

publizierte 2020 eine breit angelegte Recherche zum Schweizer Rüstungsbusiness und konnte nachweisen, dass Einzelteile aus Schweizer Produktionen immer wieder in Kriegsgebieten landen. Die Recherchen der WOZ belegen zudem, dass Schweizer Unternehmen im ersten Halbjahr 2020 Kriegsmaterial im Wert von 501 Millionen Franken exportierten. In der politisch neutralen Schweiz ist das Geschäft mit dem Krieg somit weiterhin ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.