Als Dreiundzwanzigjähriger schloss sich Louis de Boccard 1889 einer
Gruppe von Freiburger
an, die mit dreissig Kühen und drei Stieren in die Schweizer Kolonie
Bragado in der Nähe von Buenos Aires, der Hauptstadt Argentiniens,
übersiedelte. Ihr Ziel war es, am neuen Ort Greyerzerkäse
herzustellen. Später zog er ins argentinische La Plata weiter und
arbeitete im dortigen Naturhistorischen Museum. Expeditionen in die
sogenannte «unberührte» Natur Südamerikas weckten sein – nicht zuletzt
wirtschaftliches – Interesse.
Boccard wurde am 8. Mai 1866 in der Stadt Freiburg geboren und wuchs
in einer wohlhabenden Patrizierfamilie auf. Nach dem Militärdienst
arbeitete er im Landwirtschaftsbetrieb seines Vaters, dem
Domaine du Marais
in Sugiez. Die Familie verkaufte das Gut 1895 für rund 100’000 Franken
an den Staat Freiburg, der dort die Strafanstalt Bellechasse gründete.
Im argentinischen Bragado arbeitete Boccard zunächst in der Käserei
und als Sekretär der Schweizer Kolonie, ehe er 1890 nach La Plata zog.
Dort stellte ihn das Naturhistorische Museum als Kurator und
Präparator ein. Boccard organisierte schon bald nach seiner Ankunft in
La Plata wissenschaftliche, touristische und politische Expeditionen
quer durch Südamerika.
Der
war ihm dabei stets ein treuer Begleiter und Boccard betrieb eine Zeit
lang sogar ein eigenes Fotostudio. Sein Nachlass enthält über 900
Aufnahmen aus Argentinien, Paraguay, Chile, Brasilien und der Schweiz.
Er dokumentierte seine zahlreichen Reisen in Alben mit ausführlich
annotierten Bildern. Zu seinen Motiven gehörten auch sogenannte
wie die Cainguas, Guayaki und Angaités. Von diesen fertigte er
Postkarten an, um reiche Kunden für seine Jagdausflüge und
wissenschaftlichen Expeditionen im Amazonas zu gewinnen.
Die Postkarte von 1931 zeigt Louis de Boccard in klassischer Kolonialkleidung und sie übernimmt das traditionelle koloniale Arrangement für Fotografien.
Boccard befriedigte mit seinen Exkursionen nicht nur seine
Abenteuerlust und sein Fotofieber, sondern schlug auch kommerziellen
Profit aus der vermeintlich unversehrten Natur und den Menschen, denen
er in Südamerika begegnete:
«Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass ich meine grosse praktische
Erfahrung, die ich auf Entdeckungsreisen und im Umgang mit den
Indianern gewonnen habe, nutzen muss, um eine kommerzielle und
wissenschaftliche Expedition in die noch fast unbekannten Gebiete
zusammenzustellen, die von wild lebenden Indianern in den
geheimnisvollen und riesigen Urwäldern des Grand Chaco, in Paraguay,
in Bolivien und in Brasilien bewohnt werden, um dort
unterschiedlichste kinematografische Filmaufnahmen zu machen, die
von rührendem wissenschaftlichem Interesse sind und vor allem einen
grossen und lukrativen finanziellen Gewinn versprechen. (...) Ich
bin überzeugt davon, dass die Nordamerikaner, wenn sie diese
Indianer kennen würden und sich bewusst wären, wie viel Profit man
aus ihnen ziehen kann, sich beeilen würden, eine oder mehrere
Expeditionen durchzuführen, so wie ich sie vorschlage. Lassen wir
uns also nicht überholen und beeilen wir uns.»
Dieses Zitat verweist darauf, wie sich bei Boccard die
wissenschaftliche Faszination für ein vermeintlich vormodernes
«Anderes» mit einer Vorahnung dafür vermischte, dass er gerade auf ein
gewinnversprechendes Geschäftsmodell gestossen sei. Auch zeigt sich
hier ein für diese Zeit typischer Dringlichkeitsgedanke: Da die
«westliche Zivilisation» und «Moderne» bald jede noch so entlegene
Gemeinschaft erreicht haben würde, müsse genau zu diesem Zeitpunkt
noch Kapital aus der Zurschaustellung «unberührter» Gemeinschaften
geschlagen werden. Seine Geschäftsidee kann als kolonialer Tourismus
verstanden werden.
Zusätzlich zu seinem Landwirtschaftsbetrieb leitete Boccard ein Hotel
in Buenos Aires. Er arbeitete auch als Diplomat im Dienst des
argentinischen Staats. Im Auftrag des Generals reiste er in geheimer
Mission nach Chile, um sich über die militärische Kraft des Lands zu
informieren. Boccard riet dem argentinischen General angesichts Chiles
militärischer Überlegenheit von einem Krieg gegen das Nachbarland ab.
Dies zeigt auf, wie Boccard als Vertreter der europäischen Oberschicht
sogar von der lokalen politischen Elite als Berater konsultiert wurde.
Boccard pflegte sein Leben lang einen engen Kontakt zu seiner Familie
und zu einflussreichen Freunden in seinem Heimatkanton. Sie
mobilisierten immer wieder ihre Netzwerke, um Boccards Projekte und
Unternehmungen in weiter Ferne mitzufinanzieren. Die auf seinen
zahlreichen Expeditionen gejagten Tiere, die er ausstopfte und
sammelte, gelangten nicht nur in seinen Privatbesitz und ins Museo de
La Plata, sondern er schickte diese auch in die Schweiz. Sie erlaubten
es dem Naturhistorischen Museum in Freiburg, eine
aufzubauen.