Ohne Sklaverei keine Schoggi

Schokolade

Niemand auf der Welt isst so viel Schokolade wie die Schweizer:innen. Rund 12 Kilo sind es pro Kopf und Jahr. Doch Schweizer Schoggi ist auch ein wichtiger Exportartikel: Wie wurde aus dem kolonialen Rohstoff ein lokales Erfolgsprodukt?
«Xocolatl»: Vom schicken Getränk zum schnellen Snack
«Xocolatl» hiess das Aztekengetränk, das die Spanier 1528 von ihren Eroberungskriegen in Südamerika nach Spanien brachten. Sein Konsum blieb vorerst auf Spanien beschränkt, ehe das Kakaogetränk zu einem beliebten Statussymbol des europäischen Adels wurde. Über Frankreich und Italien gelang die Kakaobohne durch Wanderhändler im 17. Jahrhundert in das Gebiet der heutigen Schweiz. Die handwerkliche Verarbeitung des Rohstoffs erfolgte zunächst in Kleinbetrieben in der Westschweiz und dem Tessin. Mit der Industrialisierung und dem Aufstieg des Bürgertums entwickelte sich Schokolade allmählich zum beliebten Frühstücksgetränk. Die industrielle Schokoladenproduktion nahm in den 1820er Jahren ihren Anfang. Dank eines neuartigen Verfahrens, bei dem den Kakaobohnen die Butter entzogen wurde, konnte von nun an nicht nur Kakaopulver, sondern auch Ess-Schokolade hergestellt werden.
Erfahre hier, welche Schokoladenfirmen es in Freiburg gab.
1819 gründete François-Louis Cailler die erste mechanisierte Schokoladenmanufaktur der Schweiz in Corsier-sur-Vevey. 1898 zog das Unternehmen nach Broc im Kanton
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Freiburg,
um näher bei den Milchproduzenten im Greyerzerland zu sein.

Cailler

war um die Jahrhundertwende die umsatzstärkste Firma der Schweizer Schokoladenindustrie und beschäftigte rund ein Viertel aller Industriearbeiter:innen des Kantons Freiburg. 1901 wurde auf dem Industriegelände in Pérolles, das damals zur Gemeinde Villars-sur-Glâne gehörte, eine weitere Freiburger Schokoladenfabrik errichtet:

Chocolats Villars.

Die Erfindung der Milch- und Schmelzschokolade in den 1870er Jahren verhalf der Schweizer Schokoladeindustrie zu weltweiter Bekanntheit. Schokoladenfabrikanten wie

Cailler, Villars, Suchard, Kohler, Sprüngli, Maestrani, Munz und Tobler

konnten sich um 1900 rasch auf dem globalen Markt durchsetzen. In der Heimat entstanden zur gleichen Zeit
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Kolonialwarenläden,
wo Schweizer:innen «exotische» Produkte beziehen konnten.
Welche Änderungen brachten diese Produkte im Alltag?
Der Zugang zu kolonialen Rohstoffen wie Zucker, Reis, Tee, Kaffee, Tabak und Gewürzen sowie die fortschreitende Industrialisierung brachten einen tiefgreifenden Wandel der Ernährungs- und Konsumgewohnheiten mit sich. Diese Entwicklung begünstigte den Aufbau der Schokoladenmanufakturen im 19. Jahrhundert. Das Wachstum der Lebens- und Genussmittelindustrie machte die Ernährung zudem unabhängig vom zyklischen Ablauf der Jahreszeiten. Ebenfalls stieg aufgrund der durchgetakteten Fabrikarbeit die Nachfrage nach schnell zubereiteten Lebensmitteln an. Genussmittel wie Schokolade waren eine – nun auch für die Arbeiterklasse erschwingliche – willkommene Abwechslung während der langen Arbeitstage in der Fabrik.
Kakao: ein problematischer Handel
Da im 19. Jahrhundert immer mehr Menschen Schokolade konsumierten, stieg die Nachfrage nach Kakao. Nur durch Sklaverei gelang es den Produzenten in den Kolonien, diese Nachfrage zu befriedigen. Wie die Baumwolle oder der Zucker waren die Kakaobohnen ein typisches Produkt aus den Kolonien, das mithilfe von
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Sklav:innenarbeit
angebaut und geerntet und danach in der Welt vertrieben wurde.
Die Beziehung der Schokolade zur Schwarzen Massensklaverei vom 17. bis ins 19. Jahrhundert geriet im öffentlichen Bewusstsein zusehends in Vergessenheit.
Der Kakaohandel war Bestandteil des transatlantischen
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Dreieckshandels,
an dem sich auch die Schweiz beteiligte. Aus den Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent hatten die europäischen Kolonialmächte Menschen nach Amerika verschifft. Dort wurden sie als Sklav:innen in der Landwirtschaft eingesetzt – so unter anderem im Kakaoanbau. Die wichtigsten Kakaoanbaugebiete lagen zu dieser Zeit in Ecuador, Venezuela, Brasilien und der Karibik. Auch Cailler bezog den Kakao für die Schokoladenherstellung zunächst über Schweizer Händler aus von afrikanischen Sklav:innen bewirtschafteten Plantagen in Venezuela und Brasilien.
Und heute: Welche Schokolade kaufst du?
Kakao wird
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heute
nicht mehr von Sklav:innen angebaut. Ganz verschwunden ist die problematische Herstellung des Kakaos jedoch nicht: Um der weltweit enormen Nachfrage nach Kakao gerecht zu werden, wird vielerorts illegal Regenwald abgeholzt. Die Kakaopreise sind zudem so tief, dass die Bäuerinnen und Bauern, die diesen anpflanzen, kaum genug zum Leben haben. Schliesslich arbeiten schätzungsweise zwei Millionen Kinder unter ausbeuterischen Bedingungen auf den Kakaoplantagen. Viele davon können nicht zur Schule gehen. Die Nichtregierungsorganisation Public Eye engagiert sich für diese Thematik und zeigt: Wer faire Schokolade kauft, kann diesem Problem entgegenwirken.
Wer war in der Schweiz für den Handel mit Kakao verantwortlich?
Dank ihrer günstigen Lage am Ufer des Rheins importierten besonders Basler Geschäftsleute verschiedene Kolonialprodukte wie Kakao, Kaffee und Baumwolle. Die Handelshäuser Burckhardt und Merian machten sich im ausgehenden 18. Jahrhundert weltweit einen Namen. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts avancierte die Basler Handelsgesellschaft zur wichtigsten Akteurin des Kakaohandels in der Schweiz. Die Geschäftsleitung lag von ihrer Gründung 1859 bis 1917 bei der Basler Missionsgesellschaft. Als bedeutendste Schweizer Handelsgesellschaft übernahm sie den Güterhandel zwischen Produzenten in den Kolonien und der rohstoffverarbeitenden Industrie in der Heimat.
Und heute: Leben auf Kosten anderer
Die Schweiz ist die grösste Drehscheibe im globalen Rohstoffhandel. Schätzungsweise ein Fünftel bis ein Viertel des gesamten weltweiten Rohstoffhandels wird
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heute
über die Schweiz abgewickelt. Feiert man das kleine Land also als «Erfolgsmodell», dessen Wohlstand auf vermeintliche Attribute (wie zum Beispiel Fleiss, Sparsamkeit, Neutralität, Unabhängigkeit) zurückzuführen sei, blendet man einen wichtigen Faktor aus: Die Schweiz war stets auf den Handel mit anderen Ländern angewiesen. Umgekehrt profitierte der Welthandel wesentlich von den eidgenössischen Besonderheiten: Staatsanleihen, privates Investitionskapital, politische Neutralität, Steuerprivilegien oder Unversehrtheit durch Kriege. Insbesondere das Bankgeheimnis und die dadurch in die Schweiz fliessenden Gelder bescheren der Schweizer Wirtschaft jährlich Milliarden-Gewinne – die andernorts fehlen.
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Vom «Exotischen» zum Nationalprodukt
Die Werbung bediente sich um 1900 gerne und oft des Sujets des «Exotischen», mit dem Ziel, die Leute zum Kaufen zu bewegen. Nicht nur Kolonialwaren wie Schokolade und Kaffee wurden mit Bildern von Afrikaner:innen oder Asiat:innen beworben, sondern auch zahlreiche weitere Produkte wie etwa Seife und Zahnpasta. In Karikaturen wurden die Menschen aus anderen Kontinenten oft in erotischer Weise oder sehr verzerrt dargestellt. Gerade afrikanische Menschen wurden gerne mit schwindender Stirn und überdimensionalen Lippen gezeichnet. Ersteres sollte geringes Hirnvolumen andeuten, letzteres auf einen vermeintlich ausserordentlichen Sexualtrieb verweisen. Damit trug Werbung stark zur Verfestigung von rassistischen Vorstellungen in der breiten Öffentlichkeit bei.
Durch die Abbildung eines afrikanischen Mädchens im Bastrock, ein Heissgetränk servierend, wurden Machtverhältnisse visuell stabilisiert.
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Die Werbung von Maestrani aus dem Jahr 1937 spielte mit den kolonialen Fantasien der Konsument:innen.
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Man spricht in diesem Zusammenhang von «Warenrassismus»: Beim Warenrassismus handelt es sich um eine Form von Rassismus, die mit dem Aufstieg der Konsumkultur im ausgehenden 19. Jahrhundert auftauchte. Er bediente und verfestigte
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stereotype Denkmuster
und Vorstellungen vom «Fremden» und «Exotischen». Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war das Bild die modernste Form der Werbung. Fotografien und Plakate verbreiteten sich rasch in der gesamten Gesellschaft. Repräsentationen des Kolonialen wurden dabei bewusst für die Vermarktung von Waren eingesetzt. Anders als der in akademischen Kreisen verbreitete
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wissenschaftliche Rassismus,
der die damalige Ethnologie, Medizin und Naturwissenschaften prägte, erreichte der Warenrassismus über Zeitschriften, Plakate oder Werbebilder viel breitere Gesellschaftsschichten.
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Südamerikanische
Schweizer Schokolade
Die Schokolade steht beispielhaft für die einzigartige Position der Schweiz im kolonialen Projekt. Sie zeigt, wie man sich das «Fremde» aneignen und es für die eigenen Zwecke verwenden kann: Die Werbung der Schweizer Schokoladenindustrie betonte einerseits das «Exotische» des Rohstoffs Kakao und andererseits die nationale Identität der Schweiz. Den Konsument:innen wurde das Gefühl vermittelt, etwas Exklusives zu geniessen. Gleichzeitig wurde Milchschokolade bereits in der frühen Werbung als nationales Produkt angepriesen, indem auf der Werbung oder auf den Verpackungen Motive wie Kühe und Berglandschaften erschienen. Die Bildsprache veränderte sich im Laufe des 20. Jahrhunderts und das exotische Motiv verschwand allmählich aus der Schokoladenwerbung. Mit der Betonung einer romantisierten schweizerischen Identität gelang es, die Schokolade erfolgreich mit nationaler Symbolik aufzuladen. Diese zeigt bis heute Wirkung.
Das Werbeplakat von Cailler vermarkete Schokolade bereits 1938 als etwas typisch Schweizerisches.
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Werbung spielt bewusst mit Bildern und Vorstellungen, die in den Betrachter:innen etwas auslösen. Zum Beispiel wird das «Fremde» oder die «eigene Kultur» oftmals plakativ dargestellt – so kann die «Message» einer Werbung emotional aufgeladen werden. Diese Bilder zeigen nicht die Realität: Sie weisen auf die Stereotype hin, die in einer Gesellschaft verbreitet sind. Werden Stereotype immer wieder verwendet, prägen sie sich in das Bildgedächtnis der Gesellschaft ein. Sie bestimmen das Verständnis davon, was «eigen» und was «fremd» ist. Dadurch, dass sie immer wieder verwendet werden, bleiben sie erhalten.
Schoggi und Rassismus heute
Trotz der problematischen historischen Verknüpfung von Schokolade mit Rassismus,
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Kolonialismus
und Ausbeutung, erweisen sich rassistische
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Stereotype
und Wörter gerade in diesem Kontext als sehr hartnäckig und langlebig. Seit Jahren versuchen Aktivist:innen in der Schweiz zum Beispiel, die international berühmte und beliebte Süssspeise aus Schokolade und Eiweissschaum umzubenennen. Während viele Hersteller:innen ihre Produkte als «Schokokuss» vertreiben, beharren andere vehement auf der rassistischen Bezeichnung. Diese Debatte wird auch in der Öffentlichkeit kontrovers geführt: Auf der einen Seite gibt es Bemühungen, den verletzenden Begriff aus dem öffentlichen Raum zu entfernen. Auf der anderen Seite betonen viele Stimmen nostalgisch, dass dieser zur «Schweizer Kultur» gehöre, dass sie keinen «Maulkorb» aufgesetzt haben wollen und dass die Schwarzen nicht so «überempfindlich» sein sollen. Die Diskussionen um die Süssspeise zeigen deutlich, wie in der Schweiz
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Alltagsrassismus
verschleiert und verteidigt werden kann. Das ist unter anderem deswegen möglich, weil immer wieder darauf verwiesen wird, dass die Schweiz nie kolonial gewesen sei und deswegen keinen
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Anti-Schwarzen-Rassismus
kennen würde.