Austausch-studium mit Rückkehr-ticket

Aussereuropäische Studentent:innen

Mit dem Kalten Krieg und der Dekolonisierung änderten sich die Machtverhältnisse auf der Welt. Wer konnte, nahm Einfluss auf die zukünftigen Eliten in den (ehemaligen) Kolonien. Welche Rolle spielte die Universität Freiburg dabei?
Ringen um Einfluss oder: Wer bildet die zukünftige Elite aus?
Mit Beginn der
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Dekolonisierung
in den 1950er Jahren wurde in Europa rasch deutlich, dass schon bald die einheimischen Eliten die Führung in den neu entstehenden Staaten übernehmen würden. Unter den Vorzeichen des Kalten Kriegs begann ein Wettrennen verschiedener europäischer Länder um die Ausbildung der zukünftigen Führer afrikanischer und asiatischer Staaten: Studierenden, die in ihren Heimatländern noch keine Möglichkeit zur Hochschulbildung hatten, sollte der Zugang zu Universitäten ermöglicht werden. Um ein
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«Bollwerk gegen den Kommunismus»
zu bilden, setzten auch christliche Missionen und Hilfswerke ein besonderes Augenmerk auf dieses Anliegen.
Warum wurde das Justinuswerk gegründet?
Das

Justinuswerk

wurde 1927 zur Unterstützung «
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farbiger
Studenten» in Freiburg gegründet. Es handelt sich um die erste katholische Institution, die sich von Beginn an konkret auf die Aufgabe konzentrierte, aussereuropäische Student:innen in einem christlichen Milieu auszubilden. Nebst Verpflegung und Unterkunft bot das

Justinuswerk

den Studierenden Sprachunterricht, Hilfe bei der Eingliederung in das universitäre Leben und Unterstützung bei administrativen Angelegenheiten.
Studenten des St. Justins Freiburg mit dem Direktor Bernhard Wild 1965
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Obwohl die Institution auch mit anderen schweizerischen und ausländischen Hochschulen zusammenarbeitete, stand sie in sehr engem Kontakt mit der Universität Freiburg, die bis heute gleich nebenan ihren Standort hat. Der Hochschulrat der Universität Freiburg kooperierte etwa 1960 mit dem

Justinuswerk

, als er entschied, mit Kollektengeldern Stipendien für aussereuropäische Studierende zu finanzieren. Nach erfolgreichem Abschluss sollten sie das erlernte Wissen und die christliche Kultur zurück in ihre Heimat bringen. Studierende, welche nicht in ihre Herkunftsländer zurückreisen wollten, wurden von der finanziellen Unterstützung durch den Hochschulrat ausgeschlossen.
Angolanische Studierende in der Schweiz
Seit der
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Berliner Konferenz
von 1884/85 galt Angola offiziell als Kolonie Portugals. Ausbildungsmöglichkeiten auf Universitätsstufe waren bis in die frühen 1960er Jahre nicht vorhanden, weshalb Angolaner:innen zum Studium nach Portugal reisten. Als im Jahr 1961 in Angola der Unabhängigkeitskrieg zwischen einheimischen Befreiungsbewegungen und den Truppen der portugiesischen Kolonialmacht begann, erschwerte sich der Aufenthalt der rund 200 angolanischen Student:innen in Lissabon. Im Frühling desselben Jahrs ergriffen neunzehn von ihnen die Flucht über Spanien nach Paris. Die Aufnahme dieser Studierenden war für viele Länder aus politischen Gründen jedoch undenkbar. Schliesslich ermöglichte im Juni 1961 der Ökumenische Rat der Kirchen in Genf mit seiner finanziellen Unterstützung ihre Einreise in die Schweiz.

Frei in der Schweiz?

Dank der Mithilfe des

Hilfswerks evangelischer Kirchen Schweiz (HEKS)

verbrachten die geflüchteten Angolaner:innen den Sommer im Kanton Aargau, bevor sie im September an verschiedenen Schweizer Universitäten ihr Studium fortführen konnten. Die Mehrheit der Eingereisten pflegte Kontakt zu den Befreiungsbewegungen in Angola. Da jegliche politische Aktivitäten für Geflüchtete in der Schweiz verboten waren, standen sie unter ständiger Beobachtung durch die Fremdenpolizei.
Um die Organisation der universitären Ausbildung der angolanischen Studierenden kümmerte sich hauptsächlich der im April 1961 gegründete

Verein Schweizer Freunde Angolas (VSFA)

. Der Präsident des Vereins, Walter Artho – ein Student der Universität Freiburg, knüpfte Verbindungen zur

Vereinigung der Völker Angolas (UPA)

. Letztere bildete zusammen mit der

sozialistischen Volksbewegung zur Befreiung Angolas (MPLA)

die dominierende Bewegung im Kampf um die Unabhängigkeit.
Wer finanzierte die Student:innen in der Schweiz?
Als Walter Artho von staatlicher Seite finanzielle Unterstützung (ca. 120'000 Schweizer Franken) für die Einreise und Ausbildung angolanischer Studierender beantragte, stützte er seine Argumentation ebenfalls darauf, ein Gegengewicht gegen die sowjetische Einflussnahme zu schaffen. Das Projekt wurde vom Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements, Ludwig von Moos, schliesslich nicht empfohlen. Allerdings beteiligten sich mehrere nationale sowie lokale christliche Hilfswerke an den Stipendien für die angolanischen Studierenden. Beispielsweise die Caritas, die ab den frühen 1930er Jahren sowohl in der Schweiz als auch im Ausland geflüchtete Menschen unterstützte, trug einen wichtigen Teil zur erfolgreichen Eingliederung der Angolaner:innen in das Universitätsleben bei. In Freiburg war es vornehmlich das oben beschriebene

Justinuswerk

, das dem Ruf nach der Heranbildung einer katholischen Elite in Angola nachkam und mit dem VSFA kooperierte.
Beispiel: Jonas Savimbi, Student und Politiker im Exil
Jonas Malheiro Savimbi war der für den angolanischen Unabhängigkeitskampf einflussreichste Angolaner – und in den 1960er Jahren Student an der Universität Freiburg. Er reiste im September 1960 in die Schweiz ein und setzte in Freiburg sein in Portugal angefangenes Medizinstudium fort. Dabei unterstützte ihn neben der UPA, deren Sekretär er war, auch das

Justinuswerk

. Letzteres überwies Savimbi monatlich eine Summe von 400 Schweizer Franken, selbst als er nach dem ersten Semester an die Universität Lausanne wechselte.
Im Juni 1961 wurde er von der Freiburger Sicherheitspolizei zu seinen politischen Aktivitäten befragt und er versicherte ihr, dass er in der Schweiz nicht politisch tätig sei. Sein Aufenthalt an der Universität nützte ihm allerdings zur Vorbereitung seines späteren Kampfes gegen die Kolonialmacht sowie gegen die kommunistische Gegenbewegung in Angola: Während seinem Studium an der Universität Freiburg vernetzte sich Savimbi mit für den angolanischen Unabhängigkeitskampf zentralen Akteuren – nicht zuletzt mit Holden Roberto, der bereits internationale Bekanntheit für seine Verfechtung der angolanischen Unabhängigkeit erlangt hatte. Roberto gründete die

Angolanische Revolutionsregierungim Exil

und erklärte Savimbi zu deren Aussenminister. Freiburgs Anspruch, die neuen Führer der aussereuropäischen Länder katholisch auszubilden, führte mithin dazu, dass die Stadt eine Drehscheibe des internationalen
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Antikolonialismus
wurde.
Protokoll der Befragung von Jonas Savimbi durch die Sicherheitspolizei des Kantons Freiburg, in der er versicherte, nicht politisch tätig zu sein.
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Wie ging Savimbis Leben weiter?
Im Jahr 1966 gründete Savimbi seine eigene Befreiungsbewegung, die Nationale Union für die völlige Unabhängigkeit Angolas (UNITA), welche er über dreissig Jahre lang autoritär führte. In der Eigendarstellung betonte Savimbi stets die christliche und demokratische Ausrichtung der UNITA. Als 1974 Portugal seinen Rückzug aus der Kolonie verkündete, brach zwischen Savimbis Bewegung und den zwei anderen grossen Widerstandsgruppen der bewaffnete Konflikt aus. Die feindliche MPLA siegte 1975 und errichtete ein Einparteienregime nach dem Vorbild sozialistischer Staaten Europas, gegen das die UNITA in den offenen Bürgerkrieg trat. Sozialistisch orientierte nachkoloniale Regierungen wurden als Gefahr für weisse Minderheiten in afrikanischen Ländern und als Hindernis für europäische und nordamerikanische Wirtschaftsinteressen auf dem afrikanischen Kontinent betrachtet.
Die UNITA erhielt daher später unter anderem Hilfe von Südafrika (mit dem damaligen Apartheidregime), westdeutschen Akteuren und rechtskonservativen US-amerikanischen Institutionen sowie der CIA. Savimbi wurde dabei als Freiheitskämpfer gegen den Kommunismus inszeniert. Mit dem Ende des Kalten Kriegs und des rassistischen Apartheidregimes Südafrikas fielen die grossen Geldgeber der UNITA weg – es kam zu einem Friedensabkommen und zu nationalen Wahlen. Savimbis Partei verlor deutlich und nahm erneut den bewaffneten Kampf gegen die Regierung auf. Im Jahr 2002 starb der ehemalige Freiburger Student während eines Schusswechsels mit den Regierungstruppen. Nach seinem Tod unterschrieben die UNITA und die Regierung ein Friedensabkommen. Während dem Bürgerkrieg in Angola von 1975 bis 2002 kamen schätzungsweise 500'000 bis 800’000 Menschen ums Leben; bei den meisten handelte es sich um Zivilist:innen.
Die Einladung «der Anderen» zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Oft widersprachen die Erfahrungen, die aussereuropäische Menschen in der Schweiz machten, stark den Versprechen, die ihnen im Vorfeld gegeben wurden. Missionare und Schwestern berichteten ihnen in den Kolonien von Nächstenliebe, Wohltätigkeit und brüderlichem Christentum. Da ist es nicht überraschend, dass sie die in der Schweiz angetroffene Feindseligkeit und den strukturellen Rassismus irritierte.
In der Schweiz erwünscht oder nicht erwünscht?
Die Frage nach «erwünschten» und «nicht erwünschten» geflüchteten oder vertriebenen Menschen zieht sich wie ein roter Faden durch die Schweizer Politik des Kalten Kriegs. Geflüchtete Menschen aus Ungarn und der Tschechoslowakei nahm die Schweiz in den 1950er und 1960er Jahren gerne auf, da diese vor den kommunistischen Regimes flüchteten. Dies diente unter anderem dazu, das negative Bild des Kommunismus innerhalb der Schweizer Bevölkerung zu verfestigen. 1973 hingegen, als der chilenische Präsident Salvador Allende vom Militär, unterstützt durch die USA, geputscht wurde, verhielt sich die Schweiz gegenüber der Aufnahme von Chilen:innen äusserst zurückhaltend – denn Allendes Politik galt als moderater Sozialismus und wurde von der Schweiz abgelehnt. Diskussionen darüber, wer in die Schweiz einreisen und bleiben darf und wer nicht – und wie stark sich jene Menschen politisch oder religiös äussern dürfen – finden
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heute
immer noch statt. Das Verständnis davon, wer «nicht erwünscht» ist und wer dazugehört, wandelt sich mit der Zeit und wird immer wieder neu verhandelt: in Gesprächen, in den Medien oder im Parlament. Dies betrifft darüber hinaus auch bis heute die Frage, welchen ausländischen Studierenden der Zugang zu Schweizer Universitäten offen steht.